Der Eltern-Kind-Treff platzt aus allen Nähten
Kein Platz für Eltern und Kinder – neues Domizil gesucht
Von Tamara Herrmann
Der Erfolg des Mütterzentrums in Stuttgart-Vaihingen ist erfreulich, doch führt er den Eltern-Kind-Treff langsam an seine Kapazitätsgrenzen. Größere Räumlichkeiten werden dringend benötigt – wie stehen Distrikt und Stadt dazu?
Puppentassen, Teddybären und Märchenbücher liegen auf dem bunten Teppich des Eltern-Kind-Treffs. Während sanftes Licht durch das große Glasfenster fällt, bindet Stefanie Schönleber ihre roten Haare zu einem festen Zopf, auf ihrem Gesicht erscheint ein stolzes Lächeln und sie schmunzelt: „Mein komplettes Herz und meine Leidenschaft liegen in diesem Verein.“ Langsam lässt sie ihre Augen durch den Raum streifen und lächelt einer Mutter zu, die soeben mit ihrem kleinen Mädchen auf dem Arm den Raum betreten hat. „Nehmt euch ein Stück Kuchen und macht es euch gemütlich“, entgegnet sie freundlich und wirbelt durch die kleine Küche, um ihren Gästen alles zu bringen, was sie für einen angenehmen Aufenthalt benötigen. Ihre Augen funkeln vor Freude und sie summt vor sich hin, als sie heißen Kaffee in die Porzellantasse fließen lässt: „Wenn ich in der MüZe bin, fühle ich mich Zuhause.“
Urplötzlich verfliegt ihre frohe Stimmung und sie setzt sich ernsten Blickes an den alten Holztisch, der liebevoll mit kleinen Schneemännern dekoriert ist. „Aktuell besuchen uns 400 Personen in der Woche. Sie fühlen sich hier ebenfalls zu Hause, nur kann ich Ihnen aktuell nicht mehr das bieten, was sie verdienen. Wir besitzen lediglich 90 Quadratmeter, benötigen jedoch 250–400 Quadratmeter. Das ist ein unzumutbarer Zustand. Wir platzen aus allen Nähten!“
Stefanie Schönleber ist 49 Jahre alt, Geschäftsführerin der MüZe und Mutter zweier erwachsener Töchter. Angefangen hat ihr Engagement mit der Geburt ihrer ersten Tochter und der Idee, sich einem Eltern-Kind-Treff anzuschließen. Als sie damals die MüZe betrat, war sie fassungslos vom Zustand des Gebäudes und der Vereinsstruktur. „2006 hat die MüZe lediglich zwei bis drei Besucher die Woche gehabt und nicht einmal eine Buchführung oder eine Mitgliederverwaltung“ berichtet Stefanie. Mit viel Schweiß, Herzblut und Zeit hat sie den Eltern-Kind-Treff wieder zu dem aufgebaut, was er heutzutage ist: ein zweites Zuhause für viele Vaihinger Familien. „Alle Familien sind hier willkommen. Unabhängig von ihrem Alter, Einkommen, Migrationshintergrund und ihren Lebensumständen.“ Hierauf ist Stefanie besonders stolz. Sie seien schon viel mehr als nur ein Familientreff. Ein, wie sie es nennt, „Marktplatz der Moderne“ sei aus der MüZe entstanden und biete nicht nur den Austausch zwischen Eltern, sondern auch einen Ort, an dem Integration und Toleranz gelebt werden. Vor diesem Hintergrund verärgert es sie sehr, dass der MüZe von der Stadt bezüglich der räumlichen Probleme nicht geholfen werde.
Sie betrachtet die Ecke des Tisches, fährt gedankenverloren die Linien der Tischdecke nach und murmelt: „Wir hatten uns bereits überlegt, die MüZe als Drohung für einige Monate zu schließen, brachten es, bezüglich unserer Gäste, jedoch nicht übers Herz.“ Dass sich in näherer Zukunft etwas zum Besseren wenden wird, daran zweifelt Stefanie Schönleber.
Eine ihrer direkten Ansprechpartner bezüglich der räumlichen Problematik ist Dr. Carola Flad. Sie ist die stellvertretende Abteilungsleiterin der Jugendhilfeplanung Vaihingen und setzt sich seit 2017 für eine räumliche Vergrößerung der MüZe ein. Als sie den Bezirk vor 3 Jahren übernahm, erreichte sie nach nur kurzer Zeit eine schriftliche Einladung in die MüZe. „Hier lernte ich erstmalig Frau Schönleber kennen. Sowohl als Person als auch als Geschäftsführerin“, erklärt Frau Flad. Sofort war sie von den Programmbausteinen und Angeboten des Eltern-Kind-Treffs begeistert. „Ich sehe sehr großes Potenzial in der MüZe. In den Tätigkeits- und Geschäftsberichten, welche Frau Schönleber mir jährlich zukommen lässt, wird deutlich, dass die Quadratmeterzahl und der Raumschnitt der Nachfrage nicht gerecht werden.“
Frau Flad ist begeistert vom Konzept der MüZe, gibt jedoch zaghaft zu, dass ihr diesbezüglich die Hände gebunden seien. 2018 hatte Frau Flad eine geeignete Immobilie für den Eltern-Kind-Treff gefunden. Die Entscheidungsmacht habe in diesem Fall jedoch nicht das Jugendamt, sondern das Liegenschaftsamt gehabt. Deren Interesse Wohnraum zu schaffen, korreliert mit dem Ziel, eine soziale Infrastruktur zu schaffen und diese im Sinne der MüZe zu verbessern. Die einzige Möglichkeit, die ihr noch bleibe, sei es, einen Bedarf anzumelden und sich nach Gebietsänderungen umzuhören. Bei der Frage, ob sie an eine baldige Vergrößerung der MüZe glaube, wird sie stumm und antwortet nach einer kurzen Pause bedrückt: „Nein ich denke nicht. Die beste Möglichkeit, etwas zu erreichen, sehe ich in den Händen von Frau Schönleber. Sie ist sehr gut vernetzt und könnte bei Bezirksbeiräten ihren Bedarf noch deutlicher kommunizieren und den Druck erhöhen.“
Antworten wie diese seien entmutigend, gibt Stefanie Schönleber zu. Sie lächelt die hereingekommenen Mütter mit ihren Kindern an und zuckt zaghaft mit den Schultern: „Wenn uns die Verantwortlichen nicht helfen können und uns niemand erhört, wie soll sich dann etwas ändern? Ich werde nicht aufgeben, aber manchmal komme ich abends heim und bin ernüchtert von dieser Stagnation.“ Oftmals werde sie an die Bezirksbeiräte weitergeleitet, erzählt sie. „Hier haben wir in Herr Jehle-Mungenast einen sehr verständnisvollen und motivierten Bezirksvorsteher gefunden. Die Realisierung einer räumlichen Vergrößerung sei nichtsdestotrotz in weite Ferne gerutscht. Es scheint niemanden zu geben, der uns weiterhelfen kann. Jeder schiebt die Verantwortung auf eine andere Instanz.“
Kai Jehle-Mungenast, Bezirksvorsteher von Stuttgart-Vaihingen, kommt aus dem Bereich der freiwilligen Kinder- und Jugendarbeit. Sein Verständnis für die Forderungen der MüZe sind daher durchaus vorhanden. Er schätze die MüZe als zentralen, belebenden Kern des Stadtbezirkes sowie die offene Art der MüZe, mit der sie einer Vielzahl von Familien einen Ort des Zusammenkommens biete. „Wir brauchen nicht noch ein weiteres Spielcasino oder einen weiteren Dönerimbiss! Was wir im Stadtkern benötigen, ist eine MüZe.“ Er nickt betroffen und verschränkt die Arme vor seiner Krawatte. Er versuche, den Forderungen des Eltern-Kind-Treffs nachzukommen, so gut es nur gehe. „Ich halte die Augen offen, diskutiere regelmäßig mit zuständigen Ämtern und Verantwortungsträgern über mögliche Vergrößerungsoptionen. Das Problem ist, dass Vaihingen nicht mehr eigenständig entscheiden kann, sondern von den Entscheidungen in Stuttgart abhängig ist.“ Bezüglich der Frage nach konkreten Vergrößerungsplänen und geeigneten Immobilien runzelt er die Stirn und entgegnet, dass der Bürgermeister diese abgelehnt habe. Die Gründe hierfür seien für ihn nicht nachvollziehbar. Das Geld stelle hierbei nicht das Problem dar. „Es ist der Arbeitskräftemangel des Hochbauamtes“, entgegnet Herr Jehle-Mungenast. Seine Worte hallen in den hohen Decken seines Büros wieder. „Ich habe so gut wie keine Macht und muss daher dauerhaft taktisch und schlau agieren, um etwas zu erreichen.“ Er verstehe die Forderungen der MüZe, die wie er betont „kein Luxusproblem“ seien. Der Widerspruch zwischen Stuttgart als kinderfreundlicher Kommune und dem nicht Nachkommen der gerechtfertigten Ansprüche der MüZe mache ihn wütend. „Bürgermeister reagieren auf Presse, öffentlichen Druck und Bürgeranliegen. Für eine gute Strategie halte ich es, die MüZe temporär zu schließen und somit noch einmal gezielt auf sich aufmerksam zu machen.“
So sehr Stefanie Schönleber das Engagement von Frau Flad und Herr Jehle-Mungenast auch schätzt, zufrieden ist sie mit derartigen Antworten nicht. „Ich habe das Gefühl, selber etwas bewegen zu müssen. Ich möchte die MüZe in fünf Jahren gerne in größeren Räumlichkeiten und zum Mehrgenerationenhaus weiterentwickelt vorfinden. Hierfür werde ich mich einsetzen.“ Sie richtet sich auf und dreht sich zu ihrer Kollegin um, die lachend mit einem Kind an der Murmelbahn spielt. „Wir machen das schon, oder?“ Beide nicken sich an und strahlen. „Viele freiwillige Helfer kamen hierher, um intergenerativ etwas zu verändern und mitzuarbeiten. Ich könnte auch sagen, dass wir eben hierbleiben und uns ein ruhiges Leben machen. Dies war aber nie das Ziel der MüZe.“ Ihre Augen funkeln erneut und sie strahlt, als sie auf den mittlerweile gefüllten Raum hinter sich blickt. „Wir wollen Familien etwas zurückgeben. Es entspricht nicht meinem Naturell, einfach aufzugeben. Ich werde weiterhin für die MüZe kämpfen, eine temporäre Schließung kommt hierbei nicht infrage. Wir wollen nicht diejenigen bestrafen, die die MüZe zu dem machen, was sie ist: den Familien.“
Die Kinder lieben es – und wir auch!
Zu Besuch im Lutherhaus beim Adventsnachmittag in Stuttgart-Österfeld
Von Thomas Pilgrim
Es ist der 14. Dezember 2019. Als ich heute Morgen aufgestanden bin, wusste ich nur grob, was mich am Nachmittag erwarten würde. Im Rahmen eines Hochschulprojekts bekam ich die Möglichkeit, über den noch relativ jungen Adventsnachmittag des Jugendwerks Stuttgart-Vaihingen zu berichten. Dort bin ich mit Michael, dem Gründer dieser jährlichen Veranstaltung, verabredet. Nach einer langwierigen S-Bahn-Fahrt und einem kurzen Fußmarsch erreiche ich das evangelische Gemeindehaus „Lutherhaus“ in Stuttgart-Österfeld.
Es ist 15 Uhr, kalt aber nicht windig. Bereits am Eingang kommt mir ein Geruch von Kinderpunsch und Klebstoff entgegen. Zwei Mitarbeiter regeln fleißig den Einlass und nehmen für jedes vorangemeldete Kind einen kleinen, fairen Unkostenbeitrag in Höhe von drei Euro entgegen. „Es ist superentspannt, wir bringen unsere Kinder jedes Jahr hierher“, „Die Betreuung ist top!“, erzählen mir zwei Mütter an der Türschwelle, die gerade ihre Kinder hier „geparkt“ haben, um anschließend in Ruhe einige Weihnachtsgeschenke kaufen zu können. Mir wird schnell klar, dass es sich hierbei um eine Win-win-Situation für alle Beteiligten handelt. Der Adventsnachmittag richtet sich in erster Linie an Kinder im Alter zwischen fünf und zehn Jahren. Die Kinder haben hier auf verschiedenen Stationen die Möglichkeit sich auszutoben und ihre Kreativität zu fördern. Ungefähr 15 ehrenamtliche Mitarbeiter und 40 Kinder sind an diesem Nachmittag im Lutherhaus – der Laden ist ausverkauft. Neben Plätzchen backen, Weihnachtskarten basteln und singen, steht auch das Gießen von Kerzen oder Lebkuchenhäuserbauen auf der Agenda. „Die Kinder haben Spaß und die Eltern haben dann etwas Zeit für sich, bevor der Weihnachtsstress beginnt“, erzählt mir Michael, mit dem ich mittlerweile eine Tasse warmen Punsch im Hauptraum des Gebäudes schlürfe. Die Stimmung ist locker und ausgelassen. Im Hintergrund laufen kitschige Weihnachtslieder. Man hört die Kinder lachen und schreien. Ehrlich gesagt hätte ich nicht gedacht, dass ich mal einen Samstag so verbringen würde.
Andererseits fange ich an, Gefallen an dieser neuen Erfahrung zu finden. Das ganze Setting kommt mir fast ein wenig surreal vor. Michael, Mitte 40 und selbst mit seinem dreijährigen Sohn vor Ort, ist eigentlich gelernter Informatiker. Er erzählt mir von den Anfängen des Adventsnachmittags und von den aktuellen Schwierigkeiten, die das Jugendwerk momentan bei der Planung von neuen Veranstaltungen hat. Währenddessen balanciert er seinen Sohn auf dem Knie. Dieser ist verständlicherweise nicht besonders an meinen Fragen an seinen Vater interessiert.
Michael kam 2001 beruflich nach Stuttgart-Vaihingen und engagierte sich zunächst in der Leitung von Jungschargruppen. Die Leitung dieser Gruppen werde vorwiegend von Erwachsenen übernommen, da diese besser in der Lage seien, aufwendigere Aktionen, wie zum Beispiel Kanufahrten oder Wandertouren zu organisieren. Seit 2010 gibt es allerdings den Adventsnachmittag. Dieser eigne sich hervorragend für die jüngeren Mitarbeiter. „So was ist ein guter Starter. Die jungen Mitglieder können hier unter angenehmen Bedingungen früh lernen, Verantwortung zu übernehmen.“ Die jungen Mitarbeiter sind zwischen 16 und 25 Jahre alt. Einige von ihnen gehen noch zur Schule, die anderen studieren oder absolvieren eine Ausbildung. „Da die Veranstaltung innerhalb des Hauses stattfindet, besteht ein geringeres Risiko, dass etwas schiefgeht“, betont Michael. Solche Events seien immer gut besucht. Viel schwieriger hingegen sei die Etablierung von regelmäßigen Treffen für Kinder und Jugendliche unter der Woche. „Früher war es einfacher, Teilnehmer für regelmäßige Termine unter der Woche zu finden.“ Das Problem seien die Ganztagsschulen. Das wachsende Ganztagsangebot lässt sich schon länger beobachten. Laut der aktuellen Ganztagsschulstatistik der Kultusministerkonferenz verfügten im Jahr 2002/2003 knapp 5 000 Schulen in Deutschland über ein Ganztagsangebot. Im Jahr 2016/2017 waren es bereits über 18 000 Einrichtungen. „Der Anteil der Grundschulen mit Ganztagsbetrieb hat sich mit 65,8 % – bei Unterschieden zwischen den Ländern zwischen 100 % und 26 % – seit 2002 versechsfacht“, heißt es in einem Beitrag der Webseite Ganztagsschulen.org.
Ich erinnere mich noch sehr gut, dass zu meiner Schulzeit der Schultag maximal bis 13 Uhr andauerte. Heutzutage sieht das anders aus. „Die Schulen behalten die Kinder teilweise bis in den späten Nachmittag bei sich, 16 oder 17 Uhr. Danach sind die Kinder fertig und haben keine Lust mehr noch etwas zu machen“, erläutert Michael. Er wünscht sich eine bessere Zusammenarbeit mit den Schulen und einen konstruktiven Diskurs. Ob sich diesbezüglich in Zukunft etwas ändern wird, bleibt offen. Gegen 18 Uhr werden die Kinder wieder von ihren Eltern abgeholt und auch ich räume langsam das Feld. An dieser Stelle möchte ich mich herzlich bei Simon und Michael für die Einladung bedanken. „Nächstes Jahr kommen wir wieder!“, antworten mir zuvor noch zwei Jungs am Ausgang. Der Adventsnachmittag ist mittlerweile fest im Programm des Jugendwerks verankert und wird mit Sicherheit auch im nächsten Jahr stattfinden.
Ein Leben für das Ehrenamt
Schautänzerin, Gardetänzerin, Solistin und Trainerin: Wie die ehrenamtliche Vereinsarbeit zum Lebensinhalt wird
Von Selina Schweizer
Mitten in einem Wohngebiet führen schmale Treppen in den kleinen Keller. Von außen betrachtet lässt sich kaum erahnen, was für ein wichtiger Raum dieser Keller für den Verein der KG Schwarze Husaren in Stuttgart-Vaihingen ist. Diverse Gruppen in verschiedenen Altersklassen trainieren hier Seite an Seite über die ganze Woche hinweg für die „Fünfte Jahreszeit“.
Eine von ihnen ist die 22 Jahre alte Melanie Brommer. „Der Verein ist inzwischen wie eine große Familie für mich“, sagt Melanie. Kein Wunder, denn seit ihrem zweiten Lebensjahr ist sie schon Mitglied im Karnevalsverein. Ein Großteil ihrer Familie ist ebenfalls Mitglied und übernimmt dort aktiv Aufgaben. Der Verein lebt von der ehrenamtlichen Arbeit der Mitglieder und vor allem von den Gagen für die Auftritte der Tänzer.
5, 6, 7 und 8 – das sind die Zahlen, die Melanies gesamte Freizeit dirigieren. Sie ist Tänzerin mit ganzer Leidenschaft in jeder ihrer Rollen und da gibt es einige, denn es gibt kaum eine Disziplin, in der Melanie nicht im Einsatz ist. Der größte und sicher auch zeitaufwendigste Teil ihrer Tanzleistung ist ihre Tätigkeit als Tänzerin in der Husarengarde. Die Husarengarde ist die Ü15-Garde des Vereins und setzt sich aus momentan 16 Tänzerinnen zusammen, welche in den Disziplinen Marschtanz und Schautanz mitwirken.
Marschtanz ist die traditionelle, ursprünglich als Parodie des Militärs angelegte, Form des karnevalistischen Tanzsportes. Die Tänzer tragen hierbei aufwendige Uniformen und tanzen akrobatisch im Gleichtakt. Wer einmal eine Garde tanzen gesehen hat, weiß, warum dieser Sport eindeutig ein Leistungssport ist, denn von den Tänzern wird absolute Synchronität, Perfektion und schwebende Leichtigkeit erwartet. Die Husarengarde teilt den Marschtanz derzeit in zwei Aufstellungen auf, wobei die eine für die wertungsfreien Auftritte während der Faschingskampagne und die andere für die Turniere des Landesverbands Deutscher Karneval gedacht ist. Beide Aufstellungen unterscheiden sich für die Marschtänzer in doppelter Besetzung nicht nur in Teilen der Choreografie, da diese etwas vereinfacht gestaltet ist, sondern vor allem auch in den eigenen Positionen. Wer Teil beider Aufstellungen sein möchte, muss also zwei Aufstellungen mit großer Ähnlichkeit durchgängig unterscheiden können und immer die richtigen Schritte parat haben.
Durch ihren großen Ehrgeiz und ihren Teamgeist hat sich Melanie zur Aufgabe gemacht, in beiden Marschaufstellungen zu tanzen. Außerdem übernimmt sie in der aktuellen Kampagne 2019/2020 eine Hauptrolle im Schautanz der Husarengarde. Der Schautanz unterscheidet sich in jeder Hinsicht von den Leistungskriterien des Marschtanzes. Es handelt sich um das Erzählen einer Geschichte mithilfe von Musik und Kostümen in getanzter Form. Diese Disziplin fordert von den Tänzern nicht nur beste tänzerische Leistungen, sondern vor allem Ausstrahlung und schauspielerisches Talent. Das Thema des diesjährigen Schautanzes der Husarengarde lautet „Herzblatt“. Melanie übernimmt in diesem Tanz eine der männlichen Hauptrollen in Form eines Bewerbers um das Herz einer Dame. Eine Aufgabe, die zusätzlichen Mut und ein gutes Maß an Selbstironie erfordert. Zusammengezählt sind es damit schon drei verschiedene Variationen, die die junge Tänzerin in ihrem Repertoire hat. Als wäre das nicht schon herausfordernd genug, zählt zu ihrer größten tänzerischen Leidenschaft, „Tanzmariechen“ zu sein. Tanzmariechen sind im karnevalistischen Tanzsport die Solistinnen. Mariechen zeichnen sich in ihrem Tanz durch verschiedenste tänzerische Leistungen sowie extreme turnerische Elemente und eine besonders ausdrucksstarke Ausstrahlung aus. „Ich mag das Gefühl, aus der Menge der Garde herauszutreten und zu zeigen, was ich kann“, antwortet Melanie auf die Frage, was sie an der Rolle des Mariechens so sehr begeistert. Auf dieses Thema angesprochen, ist ihrem Ausdruck und ihrer Stimmung sofort anzumerken, mit wie viel Ehrgeiz und Spaß sie diese Rolle ausfüllt. Sie scheint es zu genießen, dass sie durch ihr Dasein als Mariechen aus dem Schatten der Gardegruppe treten kann und den Fokus der Zuschauer für sich selbst beanspruchen kann.
Bei so vielen verschiedenen Tanzarten und Tänzen stellt sich mir sofort die Frage, wie genau es möglich ist, sich das alles zu merken und es vor allem nicht durcheinanderzubringen. Melanies Trick ist die Musik. Da sie schon seit vielen Jahren tanzt, fällt es ihr leicht, auf den Takt der Musik zu tanzen, statt durchgehend im Tanz mitzuzählen. Dadurch kann sie sich meist die Schritte anhand der einzelnen Stellen in der Musik merken und die Tänze und Aufstellungen somit deutlich leichter voneinander trennen. Aber dennoch macht sie klar: „Ohne hartes Training und Übung klappt es nicht!“ Was sie mit „hartem Training“ meint, wird anhand des Trainingsplans klar, den Melanie in ihrer Woche integriert hat. Zweimal in der Woche findet das zweistündige Gardetraining statt, in welchem die verschiedenen Aufstellungen und Tänze, in Verbindung mit einem Fitness- und Kraftprogramm erarbeitet werden. Ihr selbstständiges Mariechen-Training findet einmal bis zweimal die Woche statt und steht in Verbindung mit zusätzlichem Training zum Kraftaufbau im Fitnessstudio, welches sie ebenfalls zweimal pro Woche in den Alltag integriert.
Zusätzlich zu all diesen Aktivitäten im tänzerischen Teil des Vereins unterstützt Melanie den Verein aber auch als Trainerin des Männerballetts. Eine Aufgabe, die einem zunächst als großer Spaß erscheint, aber in der Realität ist der chaotische Haufen eine Menge Arbeit. Melanie choreografiert die Schautänze und studiert diese jeden Sonntag mit dem Männerballett ein. Es ist eine ganz schöne Herausforderung, sich als junge Frau gegen eine zwölf Mann starke Gruppe durchzusetzen und für Ruhe und Ordnung zu sorgen, damit am Ende etwas auf der Bühne zu sehen ist, worauf alle stolz sein können.
Ob ihr das Ehrenamt nicht manchmal über den Kopf wächst? Heftiges Kopfnicken als Antwort; vor allem im vergangenen Jahr ist die Vereinsarbeit für sie in manchen Momenten zu viel gewesen. Das liege nicht nur daran, dass sie neben ihrer Tätigkeit im Verein als Erzieherin in einer Kindertagesstätte in Vollzeit arbeitet und die Wochenenden meist mit Sondertraining für die Turnieraufstellungen ausgebucht waren, sondern auch daran, dass ihre Mutter Anfang des Jahres eine schwere Krankheit erlitten habe und damit Melanies Leben einmal auf den Kopf gestellt wurde. „Trotz allem Stress liebe ich meine Aufgaben und das Tanzen sehr und sehe es eher als Ausgleich zum Arbeitsalltag“, meint sie zum Schluss – und das kann man ihr auch ansehen.