Dem Forschungsansatz liegen folgende Hypothesen zugrunde:

  • Die Raumsoziologie hat schlüssig dargelegt, dass jeglicher von Menschen belebte Raum keine primär physikalische, bloß geplante oder arbiträre Anordnung von Personen und Objekten ist, sondern vielmehr sozialen Konstituierungsprozessen unterliegt, die im Laufe der Zeit Veränderungen bewirken. Diese Prozesse sind nicht einheitlich, sondern hängen ihrerseits mit den individuellen und gruppenübergreifenden Entwicklungen zusammen. Stadtplanerische und verwaltungstechnische Entscheidungen – oft andernorts beschlossen – tragen das Ihre dazu bei. Dementsprechend unterscheiden sich die Wahrnehmungen, Praxen und normativen Bewertungen zu den vermeintlich einheitlichen Objekten, Strukturen und Ereignissen.
  • Die Zuschreibung zum Status quo eines sozial-räumlichen Gebildes in der Repräsentation (die Ausprägung eines „Rufs“) ist zwangsläufig verzerrt, da die Kräfteverteilung hinsichtlich medialer Wirksamkeit unter den Akteur*innen ungleich ist. In dieser Verzerrung kommen – im Guten wie im Schlechten –Verstärkereffekte zum Tragen, die keinem öffentlichen Diskurs und noch weniger einem demokratischen Entscheid unterliegen. Welche Haupttendenzen sich in der Wahrnehmung und Beschreibung der Betroffenen in einem sozial-räumlichen Gebilde tatsächlich abzeichnen, erfährt nur, wer wiederholt methodisch gesichert fragt. Es wäre nicht ausgeschlossen, dass „der Ruf“ eines Bezirks weniger auf den mehrheitlich vertretenen Auffassungen beruht, sondern vielmehr aus den Echokammern bestimmter Akteursgruppen hallt – was zu prüfen wäre.
  • Ferner wird davon ausgegangen, dass vor dem Hintergrund der verfügbaren sozio-ökonomischen Daten zum Bezirk einige Milieus (nach der SINUS-Klassifikation) stärker repräsentiert sind als andere. In der vorangegangenen Lehrveranstaltung zu „Methoden der empirischen Sozialforschung“ im 2. Semester hatten Studierende eine entsprechend vorbereitende Mikrozensus-Recherchearbeit geleistet. Ein Lernziel für die Studierenden bestand anschließend darin, mustergültige Forschungswege zur Präsenzmessung und quantitativen Verteilung diverser Milieus zu finden, da der Mikrozensus kaum Auskunft zu solchen Fragen liefert. In diese Lücke stößt die Milieuforschung.
  • Daran schließt sich die Hypothese an, dass unterschiedliche Milieus zu „ihrem“ Bezirk unterschiedliche Wahrnehmungen haben und Zuschreibungen vornehmen.
  • Eine weitere – nach wie vor unbeantwortete – Forschungsfrage verknüpft diese Hypothese mit der Idee einer mikro-geografischen Untersuchung: Wie und wo bewegen sich unterschiedliche Milieus innerhalb des Bezirks? Ließen sich Schwerpunkte („Milieu-Zentren“) ausmachen? Und wäre dies der Fall: Wo bildeteten sich Überschneidungen? Unschwer zu erkennen ist darin die Frage nach Segregation und Durchmischung, woran sich eine Reihe von möglichen Konsequenzen knüpfte, die nicht allein für „Politik“ und „Wirtschaft“ im Bezirk Relevanz hätten, sondern für alle Akteur*innen selbst. Denn die Milieuforschung hat u. a. gezeigt, dass milieu-spezische Ansprache die Kommunikation erheblich vom jenem „Rauschen“ befreit, das den „One-Size-Fits-All-Lösungen“ eigen ist.

Nicht zuletzt liegen hier die kommunikativen Ressourcen für eine erfolgreiche Anregung bürgerschaftlichen Engagements im Bezirk, das – ungeachtet der sozio-ökonomischen Bedingungen – zu einem gelingenden Gemeinwesen beiträgt.

Aufgrund der curriculären Verankerung ist diese Untersuchung auf mehrere Jahre und Stufen angelegt. In der ersten Stufe werden qualitative Interviews geführt und mikro-geografische Muster erhoben. Die zweite Stufe bildet die Zuspitzung der Hypothesen und die interpretative Verdichtung zu einer Theorie. In einer späteren dritten Stufe könnten auf dieser Grundlage quantitative Befragungen mit dem Ziel repräsentativer Messungen modelliert werden.

Bei Bewährung dieser methodischen Werkzeuge läge eine strukturelle Blaupause zur Untersuchung weiterer Stadträume vor.

Urbane Forschung: Qualitative Befragung aus raum-soziologischer Perspektive im Bezirk Stuttgart-Zuffenhausen

3. Semester / Sozialwissenschaften
Wintersemester 2018/19
Betreuer: Prof. Dr. Harald Strauß
Kooperation: Bezirksrathaus Zuffenhausen, aktive Stuttgarter e.V., BDS Bund der Selbständigen Zuffenhausen, Gewerbe- und Handelsverein Zuffenhausen e.V. 

Im Wintersemester 2018/19 fand der Auftakt zu einer sozialwissenschaftlichen Langzeituntersuchung im Stuttgarter Stadtbezirk Zuffenhausen statt. Untersucht werden fortan Wertschätzung, Bedarfe und Kritiken zum alltäglichen Lebensumfeld in einem Stadtbezirk aus der Perspektive verschiedener Akteur*innen. Dieses Projekt steht im Horizont sowohl raumsoziologischer wie milieu-orientierter Forschung, womit sich die Studierenden des 3. Semesters im Studiengang Werbung und Marktkommunikation im Fach „Soziologie“ auseinandergesetzt haben.